Orte der Erinnerung

Laurenz Berges Fotografien sind Visualisierungen der Begriffe Erinnerung und Ort, des »es-ist-so-gewesen« von dem Roland Barthes so elo­quent in sei­nen weg­wei­sen­den Bemerkungen zur Fotografie Die helle Kamera (1980) spricht, und die auch die Hauptursachen dafür sind, dass die Fotografien Zeiten ihrer Bedrohung durch neue Technologien, nichts von ihrer Faszination ver­lo­ren hat.
Bei ers­ter Betrachtung erwei­sen sich die Motive aus Berges neus­tem Zyklus eher als Un-Orte, Stätten unbe­stimm­ter, all­ge­mei­ner Art, die jedem vage ver­traut sind, sei es aus bana­len Situationen des Alltagslebens, aus Standbildern, wie sie aus Filmen her­aus­ge­schnit­ten wer­den, oder aus den abge­le­ge­ne­ren Bereichen des Unterbewusstseins — und die immer bereit lie­gen, um blitz­schnell von unse­ren visu­el­len Speicher abge­ru­fen wer­den kön­nen. Die Tatsache, dass Berges scharfe, prä­zise und farb­ge­treue Bilder der unmit­tel­ba­ren Umgebung Düsseldorfs und Nordrheinwestfalens in einem Betrachter, der selbst nie dort gewe­sen ist, das unbe­stimmte Gefühl der Vertrautheit weckt, illus­triert die Universalität foto­gra­fi­scher Abbildung auf der einen Seite und die Subjektivität des Sehens auf der ande­ren.
In har­mo­ni­schen, wenn auch umspek­ta­ku­lä­ren Kompositionen hal­ten viele Bilder des Zyklus‹ das Zusammenspiel archi­tek­to­ni­scher Elemente mit dem Gelände fest, Orte die ahnen las­sen, was sich dort abge­spielt hat oder noch abspie­len wird. In ande­ren Bildern tre­ten archi­tek­to­ni­sche Elemente in einem ver­hal­te­nen Wettstreit mit der Natur; die Trennung zweier Bereiche tre­ten archi­tek­to­ni­sche Elemente in einem ver­hal­te­nen Wettstreit mit der Natur; die Trennung zweier Bereiche als Symbol psy­chi­scher Zuordnung von Erfahrungen im Allgemeinen. Wie in Berges frü­he­ren Studien rus­si­scher Kasernen (in der wil­hel­mi­ni­schen und natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Zeit für die Armee gebaut, spä­ter von der rus­si­schen Besatzung genutzt, ste­hen sie seit dem Fall der Mauer, der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Ende des kal­ten Krieges leer), bezie­hen diese Bilder ihre Unmittelbarkeit von den inhä­ren­ten Widersprüchen, der Verschmelzung stil­ler Beständigkeit mit den Wirklichkeiten ver­las­se­ner Innenräume. Die Bilder in sei­nem neuen Zyklus ver­fü­gen, in ihrer lako­ni­schen Alltäglichkeit und dem sanf­ten Anachronismus archi­tek­to­ni­scher Details, über eine bei­nahe epi­sche Größe. Es ist kein Zufall, dass das Gefühl für einen Ort von der Konfrontation von geschaf­fe­nen mit natür­li­chen Elemente her­rührt, dass Erinnerung bedingt wird durch das Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart, und dass beide Phänomene in Verbindung mit­ein­an­der in Erscheinung tre­ten.
Der Zyklus, ins­be­son­dere Düsseldorf 1996, das Bild, das für diese Edition aus­ge­wählt wurde, gehört der eta­blier­ten foto­gra­fi­schen Tradition der Abbildung von Orten an, in denen Zivilisation und Natur auf­ein­an­der­tref­fen. In den Vereinigten Staaten kann diese Tradition zurück­ver­folgt wer­den bis zu den foto­gra­fi­schen Dokumentationen geo­lo­gi­scher Expeditionen in den Westen im spä­te­ren 19. Jahrhundert. Sie fin­det sich wie­der in Bildern wie Timothy O’Sullivans Historic Spanish Record of the Conquests, South Side of Insciption Rock (1873), oder hun­dert Jahre spä­ter in kri­ti­sche­ren Auseinandersetzungen mit die­sem Phänomen durch Vertreter der »New Topographics« Fotografie, wie Lewis Baltz‹ Zyklus New Industial Parks near Irvine, California von 1974. Es sind Werke wie diese, die einen weg­wei­sen­den Platz in der kol­lek­ti­ven Erinnerung eines Mediums ein­neh­men. Dies gilt auch für Werke, die einen weg­wei­sen­den Platz in der kol­lek­ti­ven Erinnerung eines Mediums ein­neh­men. Dies gilt auch für Werke, die einem deut­schen Künstler betrau­ter sein wer­den, wie Bernd und Hilla Bechers Aufnahmen von Fabrikhallen, begon­nen in den frü­hen 60er Jahren, oder wie Albert Penner-Patzschs eher iko­ni­sche Studie Das Bäumchen von 1929. Dass Arbeiten wie diese Laurenz Berges beein­flusst haben, ist nahe­lie­gend, zum einen, da Berges bei Bernd Becher an den Kunstakademie in Düsseldorf stu­diert hat und zum ande­ren, da Renger-Patzschs vor­der­grün­dig objek­tive Dokumentation einer bestimm­ten Landschaft auch sym­bo­li­sche Interpretation zulässt.
In ähn­li­cher Weise bleibt Düsseldorf 1996 in sei­ner Bedeutung offen. Dies obwohl es auf indi­vi­du­elle for­male wie iko­no­gra­phi­sche Elemente der eben erwähn­ten Bilder Bezug nimmt: die visu­elle Erforschung der Gebiete, die seine Heimat umfas­sen; die gezielte Komposition ein­zel­ner Naturelemente; die Gegenüberstellung von geschaf­fe­ner und natür­li­cher Umgebung, die eine moderne Landschaft aus­ma­chen; die über­legte Anordnung von Flächen inner­halb des Bildes im Verhältnis zur Fläche des Filmes, der latente Symbolismus natür­li­cher Phänomene inner­halb einer von Menschen geschaf­fe­nen Umgebung. So sehr es jeder die­ser Fotografien gelin­gen mag, sich Eigenarten des Mediums zunutze zu machen, und so sehr wir auch ver­sucht sein mögen, diese mit aus­ge­präg­ten natio­na­len, sozio-historischen oder technologisch-künstlerischen Begrifflichkeit in Verbindung zu brin­gen, so sehr geht jedes Bild in den inne­ren Besitz des Betrachters über, wo es neu­er­schaf­fen wird durch die Einfügung in den eige­nen Speicher visu­el­ler Erfahrungen. Ein Phänomen, das im Falle von Laurenz Berges Bilder sich durch die Tatsache erklä­ren lässt, dass sie letz­ten Endes Aspekte von Erinnerung und Ort anspre­chen, die jedem von uns ver­traut sind — Vorstellungen von Ansässigkeit und Heimatverbundenheit.