So schön kann eine heruntergekommene Stadt wirken

Laurenz Berges hat viele Jahre in Duisburg foto­gra­fiert. Motive fand er in her­un­ter­ge­kom­me­nen Stadtteilen. Nun zeigt der Kunstverein den unsen­ti­men­ta­len Blick des Künstlers auf eine Stadt im Umbruch.

Kein Abgesang auf die Schönheit: Laurenz Berges sanfte Aufnahme eines Tunnels in Duisburg Kein Abgesang auf die Schönheit: Laurenz Berges sanfte Aufnahme eines Tunnels in Duisburg

Eine Buchhandlung in Cloppenburg, Anfang der 80er-Jahre. Ein locken­köp­fi­ger Teenager blät­tert in einem Fotoband. Immer wie­der bleibt sein Blick an einer der Seiten hän­gen. Abgemagerte Menschen sieht er, ärm­li­che Wohnsituationen, ver­dorrte Landschaften. Gut mög­lich, dass damals die Leidenschaft für die Fotografie und unge­wöhn­li­che Motive begann. Heute ist der 49-jährige Laurenz Berges einer der wich­tigs­ten Fotografen des Landes.

Der Fotoband, der ihn so beein­druckte, stammte von Walker Evans. Der Amerikaner hatte Mitte der 30er-Jahre die Landbevölkerung von Alabama por­trä­tiert und die Folgen der gro­ßen Wirtschaftskrise fest­ge­hal­ten. Entstanden ist ein Bericht zur Lage der Südstaaten, der enor­men Einfluss auf fol­gende Künstlergenerationen hatte.

Laurenz Berges ist einer davon. Dass der Düsseldorfer Fotograf in den ver­gan­ge­nen Jahren immer wie­der nach Duisburg gereist ist, um dort schä­bige Hauseingänge, her­un­ter­ge­kom­mene Hinterhöfe, reno­vie­rungs­be­dürf­tige Unterführungen zu foto­gra­fie­ren, hat viel mit sei­nem Vorbild Evans zu tun.

Was Berges aller­dings von Evans trennt: In sei­nen Ansichten von Duisburg fehlt der Mensch. Diese Eigenart hat er von Bernd und Hilla Becher über­nom­men. In den 90er-Jahren stu­dierte Berges bei dem ein­fluss­rei­chen Fotografenpaar an der Düsseldorfer Kunstakademie. Wie die Bechers in ihren Aufnahmen von Fachwerkhäusern und Industrieanlagen gibt auch Berges der Architektur und der gebau­ten Landschaft den Vorzug – aller­dings ver­zich­tet er auf die Schwarz-Weiß-Einschränkung sei­ner Lehrer. Komplex kon­stru­ierte und farb­lich dif­fe­ren­zierte Blicke auf ver­wit­terte Wellblechgaragen, Hauswände, von denen die Farbe abspringt oder ver­na­gelte Fenster, sind das Thema sei­ner Werke, die jetzt im Duisburger Kunstverein zu sehen sind.

Nebensächliches gewinnt Bedeutung

Man muss sich davor hüten, Berges‹ Aufnahmen als Dokumentation zu betrach­ten. Jedes Bild ist viel­mehr kom­po­niert. Um dies zu errei­chen, arbei­tet er wie ein Forscher. Er sucht, ent­deckt und wählt aus. Immer wie­der begibt er sich in Gegenden, von denen er hofft, dort seine Motive zu fin­den: Mit kon­zen­trier­tem Blick tas­tet er Häuser, Straßen und Hinterhöfe in Marxloh, Ruhrort, Homberg oder Bruckhausen ab.

In Arbeiter– und Migrantenvierteln, Rotlichtmilieus und Industrieanlagen ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch »Wände zu fin­den, wo der ganze Dreck der Geschichte noch dran ist«. Berges arbei­tet genau und sorg­fäl­tig, er selbst würde das pro­sai­scher mit »ich bin nicht der Schnellste« for­mu­lie­ren. Das hat zur Folge, dass der Künstler nur wenige Projekte macht, die aber ausreizt.

Berges' Aufnahmen sind keine Dokumentationen – jedes Bild ist komponiert Berges‘ Aufnahmen sind keine Dokumentationen – jedes Bild ist komponiert

Bekannt gewor­den ist er mit einer Serie über ver­las­sene Kasernen der Sowjetarmee in Ostdeutschland. Nach der Wende foto­gra­fierte Berges die Interieurs aus­schließ­lich bei Tageslicht. Wobei das Wort Interieur für jene lee­ren Innenräume mit ihrer stump­fen, gespens­ti­gen Farbigkeit und den Spuren der Abnutzung zu vor­nehm ist. Als »Chronist des Abwesenden« hat der Kunsthistoriker Thomas Weski Berges ein­mal bezeich­net. Dass Nebensächliches Bedeutung gewin­nen kann, ist seit­dem sein Thema.

Den ver­las­se­nen Kasernen folg­ten die ver­las­se­nen Dörfer des Braunkohletagebaus zwi­schen Köln und Aachen. Doch dies­mal erwei­terte der Spurensucher sein Repertoire. Berges‹ Aufnahmen zei­gen nicht nur Innenräume, son­dern auch Blicke aus Fenstern und auf Landschaften. Die Entscheidung, den geschütz­ten Innenraum zu ver­las­sen, muss für ihn ein gewal­ti­ger Sprung gewe­sen sein. Wer den vor­sich­ti­gen Mann beob­ach­tet, spürt, dass er nur schwer unbe­kann­tes Terrain betritt. Er liebt es, Bekanntes, Gesichertes aufzusuchen.

Seit über fünf Jahren inter­es­siert Laurenz Berges sich für das Ruhrgebiet. Begonnen hat es mit dem Auftrag für die Kulturhauptstadt 2010, das Ruhrgebiet zum Thema zu machen. An dem Projekt »Ruhrblicke« hat­ten sich auch seine Lehrer Bernd und Hilla Becher sowie seine heute berühm­ten Kommilitonen Andreas Gursky, Candida Höfer und Thomas Struth betei­ligt. »Ruhrblicke« stellte für Berges eine beson­dere Herausforderung dar, schließ­lich hatte schon der berühmte ame­ri­ka­ni­sche Fotograf und Filmemacher Robert Frank mit »Hunter« einen fik­tio­na­len Reisebericht über das Ruhrgebiet gedreht. Und auch Bernd und Hilla Becher hat­ten dort immer wie­der Stätten der Industriekultur fotografiert.

Keine Klischees

Regelmäßig reist Laurenz Berges nach Duisburg, fährt dann mit sei­nem VW durch die abge­nutz­ten Straßen, wäh­rend er die lang­sam vor­bei­zie­hende Industrielandschaft mus­tert, immer auf der Suche nach einem Motiv. Hin und wie­der hält er an. Etwa wenn die grüne Wand eines alten Hauses erscheint. Schon einige Male ist er hier gewe­sen, um zu prü­fen, ob die­ses alte Gebäude mit der unge­wöhn­lich grü­nen Patina »etwas taugt«. Auch die­ses Mal fällt Berges die Beurteilung schwer, denn ein Lkw steht vor dem Gebäude. Alles, was die Schönheit der Textur beein­träch­ti­gen könnte, darf auf kei­nen Fall aufs Bild. Außerdem haben Berges‹ Werke den Anspruch, zeit­los zu sein. Gegenstände, die dem Bild eine his­to­ri­sche Einordnung geben könn­ten, mei­det er. Dazu gehört auch der Lkw.

„Wände, wo der ganze Dreck der Geschichte noch dran ist.“ „Wände, wo der ganze Dreck der Geschichte noch dran ist.“

Und noch eine Regel hat der Fotograf auf­ge­stellt: Es gilt unter allen Umständen, Klischees zu ver­mei­den. Denn zu infla­tio­när sind Aufnahmen, die das Revier auf rau­chende Schlote oder still­ge­legte Zechen redu­zie­ren. Die Welt ohne Vorurteile auf­zu­sau­gen, das hat er bei der New Yorker Fotografin Evelyn Hofer gelernt, deren Assistent Berges war. Bei Hofer hat er erkannt, dass es nicht dar­auf ankommt, wo und was man foto­gra­fiert, son­dern wie. Daraus resul­tierte das lange Suchen nach einem bild­wür­di­gen Motiv. Wenn ein Ort, eine Stelle oder eine Situation nach vie­len Prüfungen die Vorstellungen Berges‹ erfül­len, ist das Bild noch lange nicht im Kasten.

Das darf man im wört­li­chen Sinn ver­ste­hen. Denn der Fotograf arbei­tet mit einer schwe­ren Großbildkamera, die nur mit Stativ benutzt wer­den kann. Der Aufbau der Kamera ist umständ­lich und die Handhabung erregt Aufsehen. Wenn der Künstler mit dem gel­bem Abdunklungstuch, das sei­nen Kopf vor der Kamera bedeckt, vor sei­nem Motiv steht, dann fra­gen die Passanten, was er da eigent­lich mache. Er sei Architekturfotograf, sagt er dann immer. Das sei am ein­fachs­ten. Dass es Kunst ist, eine häss­li­che Tür mit einem dre­cki­gen Tuch, einen ver­kohl­ten Fries oder ver­dreckte Klingelschilder zu foto­gra­fie­ren, dazu gehört schon ein biss­chen Sehübung.

Geleitet wird Laurenz Berges von sei­nem Glauben an das Sichtbare. Für ihn sind Dinge Ausdruck einer Wahrheit. War es bei den sowje­ti­schen Kasernen der Blick auf eine poli­tisch gewan­delte Welt, so ist es bei den Duisburg-Fotos die Frage nach dem Umgang mit einer unter­ge­hen­den Industriekultur. Laurenz Berges ist ein poli­tisch den­ken­der Mensch. Wenn er über die Zukunft des Ruhrgebiets und sei­ner Menschen spricht, fragt man sich: Warum foto­gra­fiert er nie­mals Menschen, so wie Walker Evans oder Evelyn Hofer? Aber wie alles bei Laurenz Berges braucht ein sol­cher Schritt – viel Zeit.